Zurück

USA: Die ersten Amerikaner, aber als letzte geschützt

Das Atomzeitalter begann auf dem Land der indigenen Völker Nordamerikas. Ob Atombombentests, Uranabbau oder die Suche nach Endlagerstätten – indigenes Land steht bis heute immer im Fokus

Kaum war Enrico Fermi und seinem Team am 2. Dezember 1942 in Chicago die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion gelungen, gab der italienische Physiker am Telefon die Nachricht an seine Kollegen an der Harvard University verschlüsselt weiter: »Der italienische Seemann hat die Neue Welt erreicht.« Die Rückfrage – »Wie verhielten sich die Ureinwohner*innen?« – beantwortete der Physiker Fermi mit: »Sehr freundlich!« Da wusste man in Harvard: Das Experiment war gelungen! Dass für den Code die Landung von Christoph Kolumbus und damit der Beginn der Übernahme des bis dato indigenen Landes durch die Europäer*innen gewählt wurde, passt in das große Ganze: Im Norden von New Mexico, neben einem Pfadfinder*innen-Camp namens Los Alamos, in unmittelbarer Nachbarschaft der Tewa-Pueblos Santa Clara und San Ildefonso wurde die erste Atombombe namens Trinity entwickelt und dann in der Wüste White Sands im Land der Apachen getestet. Für die weiteren Bomben, von Hiroshima und Nagasaki abgesehen, wählte das US-Verteidigungsministerium sowohl die Heimat der Western Shoshone in Nevada als auch die Südseeinseln der Polynesier*innen. Bei der Suche nach geeigneten Orten für Uranabbau und Atommülllager galt ebenfalls »Indianerland« als erste Option.

Während nach 1945 in den US-Waffenschmieden Los Alamos und Livermore noch Uran aus Kanada, Belgisch-Kongo und Portugal verarbeitet wurde, ahnte niemand, dass schon bald im Südwesten, auf dem Reservat der Navajo, das begehrte Erz entdeckt werden und ein Schürf-Boom ohnegleichen losbrechen sollte. Von den 50er Jahren bis 1971 war die US-Regierung die alleinige Abnehmerin, hauptsächlich für militärische Zwecke. Die Navajo, die zahlreich in den Minen und Mühlen Arbeit fanden, wurden weder über die Gefahren aufgeklärt, noch ausreichend geschützt. Sie arbeiteten untertags, Radon umstrahlt, und inhalierten alphastrahlende Partikel; wenn sie heimkamen in ihre Hogans, die traditionellen Erdhäuser, schüttelten sie ihre Kleidung ab und verseuchten den Familienraum. Kaum eine Familie der Diné, wie sich die Navajo selbst nennen, die nicht ein Mitglied durch Lungenkrebs verloren hat. Die hohe Ziffer an Krebskranken führte 1990 – nach drei Jahrzehnten zäher Lobbyarbeit – zur Verabschiedung des Radiation Exposure Compensation Act. Die Abwicklung der Wiedergutmachung verläuft bis heute zäh: Wenn die erforderlichen Papiere fehlen oder geraucht wurde, verfällt der Anspruch. Diné (Navajos), die nicht Englisch sprachen, bejahten beim Interview die Frage nach Tabakkonsum mit einem Ja, da sie bei Zeremonien Tabak verwendeten, der als heilige Pflanze gilt. Für Anwohner*innen, die in der Nähe strahlender Abraumhalden leben und erkranken, gilt das Wiedergutmachungsgesetz nicht.

Die US-Regierung habe, so Doug Brugge von der Tufts University School of Medicine in Massachusetts in einer Studie 2002, es wissentlich versäumt, sich mit der Gesundheitsgefährdung der Navajo auseinanderzusetzen. Brugge: »Wissenschaftler*innen, die schon früh auf die Misere aufmerksam machten, wurden von den verantwortlichen Regierungsstellen ignoriert.« Rafael Moure-Eraso, Arbeitsmediziner an der University of Massachusetts, kommt 1999 zu dem Schluss: »Der Zeitraum 1947 bis 1966 war für die Regierung eine Gelegenheit, an den Navajo-Bergleuten die Auswirkungen radioaktiver Strahlung zu studieren.« Er spricht von »Experimenten an Menschen ohne deren Wissen«. Für das Colorado- Plateau, auf dem auch Kohle in großem Stil abgebaut wird, prägte die US-Regierung in den 80er Jahren den Begriff »National Sacrifice Area – Nationales Opfergebiet«. Bis heute wurden vier Millionen Tonnen Uranerz im Navajo Reservat gefördert; 2005 erließ der Navajo-Stammesrat ein Gesetz, das den weiteren Abbau verbietet; 521 verlassene Minen auf Stammesland warten auf Sanierung.

Der Grand Canyon, der 1979 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurde, weckte während der Trump-Ära erneut das Interesse von Bergbauunternehmen. Eine Anfrage an die damalige Regierung zielte darauf ab, den Erlass von Präsident Barack Obama aus dem Jahr 2012 aufzuheben, der den Grand Canyon und ein umliegendes Gebiet von 4 073 Quadratkilometern bis 2032 vor dem Uranabbau schützte. Nach der Amtsübernahme durch Präsident Joe Biden verabschiedete das Repräsentant*innenhaus ein Gesetz, das ein dauerhaftes Verbot des Uranabbaus im Grand Canyon und seiner Umgebung garantiert.

In der Region des Colorado River, vor dem Eingang zum Grand Canyon, wurde bereits geschürft: Die Tailingshalden der Moab-Mine (Sanierungskosten circa 1 Milliarde US-Dollar) erinnern sichtbar an die frühen Jahre, ebenso der Schacht der Canyon Mine, der in den 80er Jahren ausgehoben, durch den sinkenden Uranpreis aber bisher nicht in Betrieb genommen wurde.

Ein Gesetz, das indianische Kultur und Religion schützt – der Native American Religious Freedom Act von 1978 –, wurde in der Vergangenheit bei Genehmigungen für Urangewinnung ignoriert. Die Lakota im Bundesstaat South Dakota kämpften vergebens gegen den Abbau in ihren heiligen Bergen He Sapa – den Black Hills – , die Hopi, Diné und Acoma Pueblo in Arizona und New Mexico vergebens um den Schutz ihres heiligen Berges Mount Taylor, der entsprechend viele Stammesnamen trägt. Die Havasupai, die im Grund ihres »Grandmother Canyon « wohnen, kämpfen um die Unversehrtheit ihrer heiligen Quellen, die Hopi, Zuni, Diné, Ute, Pajute und Apach*innen um die Schreine ihrer Ahnen im Bears Ears Monument in Utah.

Auf dem Indigenous Uranium Summit 2006 in Window Rock, dem Regierungssitz der Navajo Nation, kamen die Tausende offen gelassene Uranminen zur Sprache, die sich über den Mittleren Westen verteilen und nicht nur die indianische Bevölkerung bedrohen. Immer lauter wird seitdem in der indigenen Welt Nordamerikas ein Kampfruf, der in Afrika und Australien Widerhall findet: »We have to ban uranium mining – Wir müssen den Uranabbau ächten!«

Weiterführende Informationen

• Dokumentarfilm: The Return of Navajo Boy, Jeff Spitz / Bennie Klain, 52 min, 2000
Widerstand im Südwesten der USA: indigenousaction.org/
• Beyond Nuclear International:beyondnuclearinternational.org/2020/01/19/grand-canyon-under-nuclear-attack/
• Black Hills: grist.org/justice/get-the-hell-off-the-indigenous-fight-to-stop-auraniummine-in-the-black-hills/