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Endlager I: DAS MEER

Zwischen 1946 und 1993 wurde das Meer als Endlager für Atommüll missbraucht. Bis 1975 wurde sogar hochradioaktiver Atommüll in den Tiefen der Ozeane entsorgt.

Wie man Atommüll schnell und kostengünstig entsorgen kann, hatten die USA schon früh vorgemacht: 1946 füllten sie radioaktive Abfälle in 200-Liter-Fässer und versenkten sie im Pazifik – bei den Farallon-Inseln rund 50 Kilometer vor der kalifornischen Küste. So wurde das Meer zur atomaren Müllkippe. Jahrzehnte später hat die US-Regierung gegenüber der Internationalen Atomenergie- Agentur IAEA eingeräumt, dass das Land bis 1970 rund 90000 Fässer an verschiedenen Stellen im Pazifik und Nordatlantik entsorgt hat.

Wie sich einer Statistik entnehmen lässt, die von der IAEA in den 1990er Jahren zusammengestellt wurde, sind etliche Staaten dem Vorbild der USA gefolgt: Belgien, die Schweiz, Frankreich, Schweden, die Niederlande, Italien, Deutschland und vor allem Großbritannien haben den Atlantik als atomares Endlager missbraucht und über 100000 Tonnen radioaktiven Müll entsorgt.

Deutschland hat daran einen eher kleinen Anteil: Im Mai 1967 wurden 480 Fässer mit radioaktiven Abfällen aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe in Emden verladen und 450 Kilometer vor der Küste Portugals im Atlantik entsorgt. Die Russische Republik wiederum hat nach dem Fall der Mauer gegenüber der IAEA offengelegt, dass zu Sowjetzeiten rund 190000 Kubikmeter Atommüll im Arktischen Meer und fast 150000 in Pazifik und Ostsee verschwunden sind – darunter auch ausgediente Atom-U-Boote und mindestens 16 Atom-Reaktoren aus U-Booten.

Darüber hinaus sind sechs atomgetriebene U-Boote mitsamt der an Bord befindlichen Atomraketen gesunken, jeweils drei US-amerikanische und drei sowjetische. Noch heute liegen die Boote in einer Tiefe zwischen 1700 und 5500 Metern.

Wie viel hochradioaktiver Atommüll im Meer verklappt wurde, kann heute aber niemand genau sagen. Die Praxis wurde erst 1975 mit der sogenannten »London Dumping Convention« verboten, schwach- und mittelradioaktive Abfälle durften zunächst jedoch weiterhin versenkt werden. Noch 1985 wies die Nuclear Energy Agency, eine Unterorganisation der OECD, in einem Bericht darauf hin, dass die radioaktiven Schadstoffe in den Ozeanen verdünnt und weiträumig verteilt würden, sollte das salzige Wasser Löcher in die Fässer fressen. Die Grenzwerte für Strahlenbelastung einzuhalten sei insofern kein Problem.

Öffentlichkeitswirksame Proteste von Greenpeace brachten schließlich ein Umdenken. 1994 unterzeichneten alle Staaten, die bis dahin das Meer als Endlager nutzten, ein Moratorium, das bis heute Bestand hat. Welche Gefahren der vor Jahrzehnten im Meer entsorgte Atommüll mit sich bringt, lässt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2012 erahnen: »Die Fässer waren nicht konzipiert, um einen dauerhaften Einschluss der Radionuklide am Meeresboden zu gewährleisten. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass sie zumindest teilweise nicht mehr intakt sind und Radionuklide freigesetzt wurden.«

Dass dem so ist, haben Aktivist*innen von Greenpeace und Journalist*innen längst gefilmt und publik gemacht: Fische und andere Meerestiere tummeln sich am Meeresgrund um zerborstene Metallfässer mit strahlender Altlast. Die Kom­mission, die über die Einhaltung des Vertrags zum »Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks« (OSPAR) wacht und der 15 Regierungen – darunter Deutschland und die EU – angehören, stellte bereits im April 2010 fest: »Die Analyse ergab erhöhte Konzentrationen von Plutonium-238 in Wasserproben aus den Versenkungsgebieten. Das deutet auf das Auslaufen der Fässer hin. An einigen Stellen waren auch die Konzentrationen von Plutonium-239, Plutonium-240, Americium-241 und Kohlenstoff-14 im Wasser erhöht.« Obwohl es offensichtlich ist, dass der freiwerdende Atommüll die Meere radioaktiv belastet, gibt es bislang keinerlei Initiativen, ihn wieder zu bergen. Der Aufwand wäre wahrscheinlich unbezahlbar, liegen die meisten Fässer doch mehrere tausend Meter tief am Meeresgrund. Die Atomindustrie fühlt sich ohnehin nicht verantwortlich.

Weiterführende Informationen

• Thomas Reutter und Manfred Ladwig: Versenkt und Vergessen. Atommüll vor Europas Küsten, SWR 2013, 53 Minuten, auf Youtube