Zurück

DEUTSCHLAND II: ATOMAUSSTIEG MIT LÜCKEN

Deutschland hat zwar das Ende der Atomkraftnutzung beschlossen. Ein Ende des Atomzeitalters ist das jedoch hierzulande noch lange nicht.

Mitte April 2023 sollen in Deutschland mit Neckarwestheim, Isar II und Lingen die letzten AKWs Abgeschaltet werden. Doch damit ist der Atomausstieg längst nicht abgeschlossen: Der unbefristete Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen ist ein Skandal, den noch keine Bundesregierung angepackt hat. Dazu wird in Karlsruhe weiter an der Zukunft von Atomkraftwerken geforscht – mit Steuergeldern wohlgemerkt. In Jülich werden Uranzentrifugen weiter entwickelt und in Garching bei München bleibt ein »Forschungs«-Reaktor in Betrieb, der mit hochangereichertem, also waffenfähigem Uran betrieben wird.

Besonders brisant: Urananreicherung und Uranzentrifugen- Technologie machen Deutschland zu einer stillen Atommacht, die sich den technischen Weg zur Atombombe offenhält. Zur Urananreicherung gründeten 1970 Großbritannien, Deutschland und die Niederlande mit dem Vertrag von Almelo die heutige Urenco Ltd und vereinbarten später, im westfälischen Gronau eine »deutsche« Urananreicherungsanlage zu bauen. Das dort angereicherte Uran soll ausschließlich zu zivilen Zwecken genutzt werden. Eigentümer sind zu jeweils einem Drittel der britische und der niederländische Staat; das deutsche Drittel teilen sich E.ON und RWE. 2005 genehmigte die zuständige nordrhein-westfälische Landesregierung sogar eine Kapazitätserweiterung auf 4 500 Tonnen Uranbrennstoff. Mit dieser Menge können rund 30 große Atommeiler versorgt werden, weltweit fast jedes zehnte Atomkraftwerk.

Derzeit exportiert Urenco rund 50 Prozent des angereicherten Urans in die USA, da diese über keine eigene Urananreicherung mehr verfügen. Dort wird in einigen AKWs das anfallende Tritium für das US-Atomwaffenprogramm verwendet. Dadurch kann Urenco indirekt an der Herstellung beziehungsweise Modernisierung von Atomwaffen beteiligt sein. Die Anreicherung von Uran für zivile Zwecke ist von der militärischen Nutzung nicht zu trennen. So ermöglichte es erst der Diebstahl von Blaupausen bei Urenco am Standort Almelo in den 70er Jahren durch den pakistanischen Wissenschaftler Abdul Kadir Khan zunächst Pakistan und in der Folge dem Iran und Nordkorea, selbst Uran anzureichern – eine Grundlage für ihre jeweiligen Atomwaffenprogramme. Urenco ist damit durch laxe Sicherheitsvorkehrungen mitverantwortlich für einen der international größten Verstöße gegen das Nichtverbreitungsgebot von Atomwaffentechnologie.

In der Brennelementefabrik im emsländischen Lingen – zu 100 Prozent im Besitz der französischen EdF-Tochter Framatome – dürfen jährlich 800 Tonnen Uran zu Brennelementen verarbeitet werden. In Deutschland werden ab 2023 weder angereichertes Uran noch Brennelemente für Atomkraftwerke benötigt. Deutschland ist auch nicht verpflichtet, ausländische AKWs mit Kernbrennstoff zu versorgen. Rechtlich wäre es möglich, die Atomanlagen in Gronau und Lingen zeitgleich mit den letzten deutschen AKWs stillzulegen. Das belegt ein Gutachten im Auftrag des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2017. Geschehen ist in dieser Richtung bislang jedoch nichts. Im Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2021 heißt es zwar: »Unser Ziel ist es, die Atomfabriken in Gronau und Lingen schnellstmöglich zu schließen.« Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien ist dazu aber nichts zu finden.

Wie notwendig deren Stilllegung ist, zeigt die Geschäftspolitik der Atomanlagen: Urenco belieferte unter anderem bis 2011 den Fukushima-Betreiber Tepco mit angereichertem Uran. Seit 2017 gibt es wieder Transporte nach Japan. Auch die Ukraine und die Vereinigten Arabischen Emirate werden mit Uranbrennstoff versorgt. Und sowohl Urenco als auch die Brennelementefabrik in Lingen beliefern die wegen zahlloser Pannen umstrittenen belgischen Meiler in Tihange und Doel oder den maroden schweizerischen Reaktor Leibstadt.. Framatome wollte außerdem über ein Joint Venture dem russischen Atomkonzern Rosatom die Beteiligung an der Atomfabrik in Lingen ermöglichen. 126 Organisationen vor allem aus Deutschland, Frankreich und Russland haben im Februar 2022 in einer Resolution von der Bundesregierung gefordert, diese Kooperation zu unterbinden. Das Joint Venture zementiere den Weiterbetrieb der Atomanlage und öffne Rosatom und der russischen Regierung eine weitere Tür zum europäischen Energiemarkt – mit Billigung der Bundesregierung. Zugleich erhalte so die französische Regierung grünes Licht aus Berlin für die eigenen Pläne zur Atomexpansion. Erst der Ukrainekrieg hat dazu geführt, dass der Antrag zur Genehmigung des Joint Ventures zurückgezogen wurde.

Die Urananreicherung birgt ein weiteres Problem: Bei Urenco entstehen jedes Jahr rund 5000 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid (UF₆). Bis 2009 exportierte Urenco rund 27300 Tonnen UF₆ aus Gronau nach Russland zur »Langzeitlagerung «. Nach massiver öffentlicher Kritik beendete Urenco damals zunächst diese Praxis. Anstatt abgereichertes Uran als Atommüll sicher endzulagern, deklarierte Urenco das Material als »Wertstoff« und exportierte zwischen Mai 2019 und Oktober 2020 18000 Tonnen über die Ostsee nach St. Petersburg und von dort nach Novouralsk bei Jekaterinburg. Dort lagert es in den wenig sicheren Behältern unter freiem Himmel.

»Russland ist nicht das Atomklo von Deutschland«, kritisiert unter anderem Ecodefense-Gründer Wladimir Sliwjak, Trägerdes Alternativen Nobelpreises: »Urenco spart sich damit die Kosten für die teure Endlagerung in Deutschland.« Erst der Krieg gegen die Ukraine führte zur Kündigung des Vertrags. UF₆ ist radioaktiv und hochgiftig. In Verbindung mit Wasser reagiert es zu extrem aggressiver Flusssäure. Für eine solche Reaktion reicht bereits Luftfeuchtigkeit aus. Kommt ein Mensch damit in Kontakt, sind schwere Hautverbrennungen sowie radioaktive Kontamination die Folge. Eingeatmet zerfrisst Flusssäure die Lunge und kann zum Tod führen.

Ein tragfähiges und langfristiges Konzept zur Endlagerung des abgereicherten Urans aus Gronau gibt es bisher nicht. Und die ständigen Transporte von Uran von und zur Urananreicherungsanlage Gronau sowie von und zur Brennelementefabrik Lingen sind eine andauernde Gefahr. Es reicht ein Transportunfall für eine Katastrophe.

Weiterführende Informationen

• BUND: Atomkraft 2018 – sicher, sauber, alles im Griff? Download unter: bund.net
• Sofortiger Atomausstieg Münster: sofa-ms.de